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8 Minuten

Zukunftsmusik: Stationärer Handel im Valuetainment Zeitalter

Veröffentlicht am:
11.4.2024
Zukunftsmusik: Stationärer Handel im Valuetainment Zeitalter
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Dieser Blog startet heute zur Abwechslung mit einer Frage und lädt euch zu einer kurzen Reflexion ein. Wann hattet ihr das letzte Mal beim Shoppen oder Bummeln (wohlbemerkt als reales und nicht virtuelles Einkaufserlebnis) so richtig Spass? Wie lange liegt es zurück, dass ihr das «Lädele» oder auch den Wocheneinkauf als angenehmen Zeitvertreib empfunden habt? Wie inspiriert und motiviert seid ihr gewesen, Geld auszugeben und was ist euch von diesem «Einkaufserlebnis» nachhaltig in Erinnerung geblieben? Kurze Gedankenpause.

Zählt ihr euch (wie ich mich persönlich auch) zur Mehrheit der Schweizer:innen, auf die sich die GDI Handelsstudie «Ausgebummelt» bezieht? Als ich Ende vergangenen Jahres die Studie las, fühlte ich mich verstanden. Hier steht es schwarz auf weiss: Der derzeitige Grundtenor im Schweizer Einzelhandel lässt sich zusammenfassen mit «Einkaufsfrust statt Einkaufslust». Doch worauf ist das zurückzuführen? Wo fangen wir am besten an? Lasst uns zunächst beim Offensichtlichen starten und einen Blick auf die Trends werfen.

Megatrends und Gegentrends

Über mehrere Jahre hinweg hat sich ein Konsumtrend von «Mehr haben = Mehr sein» abgezeichnet, den bereits Naomi Klein in «No Logo» kritisch hinterfragte. In einem Zeitalter, in dem sich viele Menschen bewusst für materiellen Wohlstand entscheiden, wird Zeit zunehmend zu einem knappen Gut.
Achtung Triggerwarnung: Es folgt ein Flashback an die guten alten Zeiten, als es Milch und Käse noch in der sogenannten Molkerei gab und Obst und Gemüse im Gemüseladen. Jedes einzelne Fachgeschäft versprühte eine besondere olfaktorische Note, die auch einer blinden Kundschaft unverkennbar signalisierte, welche Waren feilgeboten wurden. Ich erinnere mich noch gut daran, wie sich jedes Geschäft einer Perlenkette gleich, aneinanderreihte. Ausgestattet mit dem DDR- Einkaufsklassiker, einem grossmaschigen Dederon-Mini-Einkaufsnetz (nebenbei bemerkt seinerzeit ein wahres Wunder, weil es in jede Hosentasche passte, gleichzeitig aber Unmengen damit transportiert werden konnten) und Mutti’s Einkaufsliste, klapperte ich als Knirps stolz ein Geschäft nach dem anderen ab. Meistens startete ich in der Molkerei, wo es die Milch noch in transparenten Tüten zu kaufen gab, während das Wort Tetrapack noch auf seine Geburtsstunde wartete. (Damals hätte ich vermutlich gedacht, dass es sich bei «Tetrapack» um eine neuartige Rucksack-Innovation handelt.)

Nachdem das elastische Wundernetz die ersten Einkäufe aus der Molkerei verschlungen hatte, schlenderte ich weiter in das nächste Geschäft. Der Weg dahin war überschaubar. Eine Trittstufe abwärts, zehn Schritte Richtung Osten, eine weitere Trittstufe aufwärts und so dann ertönte das vertraute Klingeln der Ladentür vom benachbarten «Konsum». Nachdem der schwere Vorhang, welcher den Blick auf das Ladeninnere verschleierte, beiseite geschoben war, verwandelte sich das kleine Geschäft in eine Miniatur-Ausgabe vom «Haus der tausend Dinge». Der Konsum war der einzige Tante-Emma-Gemischtwarenladen, welcher von der Semmel bis hin zu Pasta, Haushaltsreiniger und Schuhcreème eine Vielfalt an nützlichen Gütern des täglichen Bedarfs im Sortiment führte. Das Einkaufsnetz füllte sich hier ein weiteres Mal und die Maschen spannten sich weiter auf. Nächste Station: Gemüseladen. Gleiches Spiel wie zuvor. Eine Trittstufe abwärts, wenige Schritte ostwärts und eine Trittstufe aufwärts. Der Leserschaft wird schnell klar, dass diese Art des Einkaufserlebnisses zeitintensiver ist. Mehrere Ladentüren werden aufgestossen und fallen wieder ins Schloss. Das Bezahlen wird zu einer «Und täglich grüsst das Murmeltier» Zeremonie. Viele vertraute Gesichter der Verkäufer:innen, viele involvierte Hände. Ich kannte sie alle. Und alle kannten mich. Reichte das Geld mal nicht, kein Problem. Ein knappes Versprechen galt auch ohne Handschlag als besiegelt und ich wurde trotz Minderjährigkeit als kreditwürdig befunden. Keine fünf Minuten später stand ich wieder auf der Matte und beglich den gewährten Mini-Kredit. Rückblickend verhielt es damals so, wie die «Fantastischen Vier» in ihrem Song «Tag am Meer» besingen: Die Zeit kehrt zurück und nimmt sich mehr von sich. Und tatsächlich: Zeit gab es reichlich, dafür waren die Devisen knapp. Und nun vierzig Jahre später?

Stopping statt Shopping

Heute entwickelt sich bereits zum Megatrend Over-Consuming ein Gegentrend. Minimalismus, der als neuer «Leicht-Sinn» deklariert wird, oder auch einfach nur als «Stopping» bezeichnet werden kann. Nicht erst seit Corona ist das Ladensterben ein Thema, mit dem sich der Schweizer Einzelhandel konfrontiert sieht. Der aktuelle Zeitgeist manifestiert sich in ökologischen Werten, welche eine neue globale Identität stiften. Das Verhältnis von Mensch, Natur und Technologie wird neu austariert. Neo-Ökologie ist im kollektiven Bewusstsein angekommen und bringt neue Marktlogiken hervor. So hat sich Nachhaltigkeit längst vom Konsumtrend zum Wirtschaftsfaktor entwickelt. Stopping bezeichnet den Gegentrend zum Over-Consuming, was dazu führt, dass es für den Wohlstand der Zukunft ein neues Verständnis von Wachstum braucht. Hinzu kommt, dass Einkaufserlebnisse im direkten Wettbewerb mit privaten Freizeitaktivitäten sowie diversen Verpflichtungen der Kund:innen stehen. Die Handelsstudie «Ausgebummelt» thematisiert die Spass- und Sinnkrise des Einkaufens. «Wie wir unsere Zeit gestalten, hat unmittelbaren Einfluss auf unsere Lebenszufriedenheit. Nur wenn wir Dinge tun, die wir als bedeutsam erleben und die uns Freude machen, steigt die Lebenszufriedenheit.»1
Der technologische Wandel und mit ihm der Trend zum Onlinehandel sind reale Gefahren für die Attraktivität von Innenstädten. Allerdings bietet die Digitalisierung auch zunehmend Möglichkeiten, das Einkaufserlebnis durch immersive Erfahrungen in neue Sphären zu befördern. Welche Konzepte braucht es, damit Konsument:innen wieder Lust haben, durch die Geschäfte zu bummeln und die Lust am Einkaufen wiederzuentdecken?

Quelle: https://de.statista.com, Lohmeier, L., 2024

Quelle: https://de.statista.com, Lohmeier, L., 2024

Immersive Einkaufswelten

«Man kann nicht nicht kommunizieren.». Dieses von Paul Watzlawick stammende Axiom lässt sich auch auf Räume übertragen. Auch ohne Worte stehen wir im Austausch mit den Räumen, in denen wir uns bewegen und aufhalten. Subtil und unbewusst kommunizieren Räume mit uns unentwegt und gnadenlos ehrlich. Welche Botschaft die Unternehmen ihren Kund:innen mitgeben wollen, liegt dabei ausschliesslich in den Händen der Unternehmen selbst. Diese haben die Möglichkeit, den Touchpoint des Raumes als Projektionsfläche für Image und Identifikation zu nutzen. In Abhängigkeit vom angestrebten Image lassen sich so Nachhaltigkeit oder Exklusivität adäquat unterstreichen. Erfolgreiche Raumkonzepte entfalten damit eine Resonanzwirkung. Und diese Resonanz entsteht mit Gefühlen wie Begeisterung, Freude, Inspiration und neugierigem Staunen.  

Der Online-Anteil im Lebensmitteleinzelhandel ist besonders niedrig und verzeichnet 2023 erstmals einen rückläufigen Trend (vgl. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/445597/umfrage/onlineanteile-am-gesamtmarkt-food-vs-nonfood-in-der-schweiz/). Das bestätigt die ungebrochene Zurückhaltung der Konsument:innen beim Kauf von Produkten im Food-Segment. Die Motive eines Offline-Einkaufs liegen auf der Hand, unterscheiden sich jedoch hinsichtlich ihres Zwecks.

Grob betrachtet lassen sich zwei Dimensionen unterscheiden: Versorgungseinkäufe versus Fashion- und Lifestyle-Produkte. Die allgemeinen Pluspunkte des stationären Handels liegen insbesondere in Attributen wie Haptik, Erlebnis, Atmosphäre, Beratung, Service oder Produkterlebnis sowie die unmittelbare Verfügbarkeit der Waren.2 Bei preisorientierten Versorgungseinkäufen legen Konsument:innen grösseren Wert auf Einkaufsroutinen, in denen funktionale Anforderungen im Vordergrund stehen. Kontinuität, Bequemlichkeit, Schnelligkeit sowie die Erreichbarkeit sind wichtiger als trendige POS- Innovationen, welche bei Fashion- und Lifestyleprodukten geschätzt werden. Hier sind immersive Einkaufserlebnisse stärker gefragt, weil die Wachstumsgrenzen im Onlinehandel zunehmend ausgeschöpft sind (vgl. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/298046/umfrage/wachstumsraten-detail-online-und-versandhandel-in-der-schweiz/).

Quelle: https://de.statista.com, Lohmeier, L., 2024

Datenbasierte Zusatznutzen in Mikromomenten

Wenn die Waren im stationären Laden direkt verfügbar sind, reagieren Konsument:innen auch empfänglicher für Spontan- und Zusatzkäufe. Hier liegt aktuell noch viel unausgeschöpftes Potenzial brach. Im stationären Handel der Zukunft sollte es möglich sein, dass Nutzerdaten viel stärker direkt in das Einkaufserlebnis integriert werden. So könnten beispielsweise reale Cross-Selling-Effekte erhöht werden, wenn TV-Screens Konsument:innen persönlich ansprechen oder der Einkaufswagen basierend auf individuellen Einkaufspräferenzen alle aktuellen Angebote anzeigt. Stationäre Händler reagieren vermehrt mit neuen Ladengestaltungskonzepten und ringen darum, das Einkaufserlebnis am Point of Sale (POS) zu verbessern. Damit das Einkaufserlebnis auch als Erlebnis wahrgenommen wird, spielt am POS das Aufladen mit positiven Emotionen eine signifikante Rolle. Das gelingt oftmals mit wechselnden Zusatznutzen. Ein zukunftsfähiges Vorreiter-Konzept, das demonstriert, wie der stationäre Handel erfolgreich dem Valuetainment- Trend gerecht wird, ist beispielsweise das Tesla Retro-Diner mit Supercharger-Ladestation und Cinema. Hier zeigt sich, wie Notwendiges und Nützliches mit dem Angenehmen verbunden wird. Mischkonzepte, Kooperationen und neu gedachte Handelsplattformen bieten noch reichlich unausgeschöpftes Potenzial, stationäre Einkaufserlebnisse in neue Galaxien zu befördern. Wie man erfolgreich von Agglomerationseffekten profitiert, demonstriert beispielsweise auch der Textildiscounter Primark, welcher neue Wege des stationären Daseins beschreitet. Ein neuartiges Store-Concept, das auf einer Partnerschaft mit Fujifilm basiert, bündelt Synergien und eröffnet Konsument:innen neue immersive und interaktive Möglichkeiten.

Zusatznutzen werden häufig dem Bereich Genuss zugeordnet und grenzen sich damit von den Versorgungseinkäufen ab. Mehrwerte für genuss- und erlebnisorientiertes Shopping entstehen durch kombinierte Gastronomie-, Kultur- und Unterhaltungsangebote. Konsument:innen belohnen Zusatznutzen, die Treffpunkt- und Freizeitfunktionen bieten, mit einer höheren Aufmerksamkeit und Frequentierung. Damit sind diese Händler auch weniger anfällig für den Online-Wettbewerb. Eine erfolgreiche Symbiose von Shopping und dem Bedürfnis nach Genuss und sozialem Austausch in unseren helvetischen Breitengraden ist das hybride Retail Cafe Joyne am Spalenberg in Basel. Hier verbinden sich Lebens- und Shoppinglust zu einem ganzheitlichen Einkaufserlebnis. Das Konzept an sich ist nicht neu und dennoch nur wenig verbreitet. Ungewöhnlich hingegen ist das Harajuku Nescafé Konzept in Tokyo, welches mit stehenden Schlafkapseln, sogenannten Giraffe-Nap Schlafkabinen lockt. Die Idee dahinter ist simpel: Nescafé empfiehlt, vor dem zwanzigminütigen Powernap einen Kaffee zu trinken, so dass nach dem Aufwachen der Koffein-Kick seine maximale Wirkung entfaltet.  

«Wie wir unsere Zeit gestalten, hat unmittelbaren Einfluss auf unsere Lebenszufriedenheit. Nur wenn wir Dinge tun, die wir als bedeutsam erleben und die uns Freude machen, steigt die Lebenszufriedenheit.»

Ausgebummelt – Wege des Handels aus der Spass- und Sinnkrise, GDI

Nachhaltigkeit erlebbar machen

In einer Epoche, in der Nachhaltigkeit sich vom Konsumtrend zum Wirtschaftsfaktor entwickelt (Megatrend Neo-Ökologie) spielen auch weiterführende Produktinformationen eine Schlüsselrolle, um eine immersive Einkaufswelt zu kreieren. Das wachsende Bedürfnis nach Produktions- und Lieferkettentransparenz sollte in zukunftsfähigen Store-Konzepten von Beginn an mitgedacht werden. Digitale Objektgedächtnisse gewinnen hier an Bedeutung. Diese speichern, einem Tagebuch ähnlich, alle produktrelevanten Informationen und stellen spezifische Details zur Herkunft von Inhalts- und Rohstoffen, Materialien sowie Verarbeitungsmethoden und Arbeitsbedingungen zur Verfügung. Dem Bedürfnis nach «Total Transparency» können Händler somit bereits am POS gerecht werden. Gelingt es, diese Informationen am POS wirksam in Stories einzuflechten, können Marken und Ladenkonzepte über eine weitere Dimension aufgeladen werden. Das wiederum zahlt zusätzlich auf eine ganzheitliche Kommunikationslinie ein, welche die Verbindung zu den Communities der relevanten Zielgruppen stärkt. Die Story als Unterhaltungskomponente zu nutzen, ergibt sich aus dem aktuellen Zeitgeist des «Entertainment Age», bei welchem Information und Entertainment in der vernetzten Gesellschaft so eng verbunden sind wie nie zuvor.

Stationäre Ladenkonzepte entwickeln sich daher künftig viel stärker zu Entertainment-Touchpoints, die Resonanzerfahrungen schaffen. Dabei steht die Sinnstiftung als zentraler Treiber im Mittelpunkt und erweitert den Wirkungsradius der Unterhaltung als Sozialisations- und Integrationsinstanz auch auf unsere Einkaufserlebnisse. Das bietet Konsument:innen künftig ausreichend Gelegenheiten, sich auch während ihrer Shopping Aktivitäten mit gesellschaftlichem Schmiermittel und sozialem Kitt einzubalsamieren.3

Bei all diesen Aussichten und Entwicklungen bleibt nur zu hoffen, dass wir uns im «Entertainment Age» nicht zu Tode amüsieren. Gewünscht sind Ladenkonzepte, die uns Menschen, als frei denkende Wesen ansprechen und uns darin unterstützen, etwas Bedeutungsvolles zu erleben und zu tun.

[1] Ausgebummelt – Wege des Handels aus der Spass- und Sinnkrise, Gottlieb Duttwiler Institut, 2023, S.3

[2] Jahn, Manuel, 2017, Einzelhandel in Läden - Ein Auslaufmodell, in: Gläß, R., Leukert, B., 2017, Handel 4.0 - Die Digitalisierung des Handels, S. 32 ff.

[3] Mendelsohn, 1966 in: Valuetainment – Die transformative Kraft der Unterhaltung, 2022, Zukunftsinstitut, S. 109

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Maximiliane Edelmann

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