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8 Minuten

Social Media Spotlight: Von Influencern und Defluencern

Veröffentlicht am:
5.6.2024
Social Media Spotlight: Von Influencern und Defluencern
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So schnell beschwört man eine Armee aus dem Nichts herauf: Um etwas über eine Kamera zu erfahren, schaute ich ein dreiminütiges Video auf Youtube. Seither blicken mich jedesmal, wenn ich die Plattform besuche, Heerscharen junger Männer mit Pinselhaarschnitt an, die irgendwas wahnsinnig Wichtiges über eben diese Kamera sagen wollen, während sie durch Südostasien wandeln. Catchy Titel wie DON'T BUY THAT CAMERA BEFORE YOU WATCHED THIS VIDEO! inklusive. Ein Teil davon mögen Hobbyasten sein, die einfach ihr Wissen und ihre Leidenschaft teilen, gut die Hälfte, so vermute ich, erhält dafür Geld, dass sie diese Videos machen. Einige von ihnen haben hunderttausende Follower:innen, die gebannt ihr Urteil über das neueste Gadget erwarten. Die Inhalte sind eine Ansammlung von Ununterscheidbarkeit, dafür aber algorithmisch getrimmte Thumbnails, aufwändig produzierte Intros, Affiliate Links in der Beschreibung. Ich merke: Ich werde ge-Influenct, was das Zeug hält.

Für Marken ist das der Traum: Das eigene Produkt geht in den Händen einer Social-Media-Persönlichkeit viral. Ganz von alleine, für den Preis einer Briefmarke. Falls nicht, kann man das Verfahren mit einem Geldbetrag beschleunigen, der als Honorar augenwässernd hoch, aber im Vergleich mit einem vollständigen Kampagnenbudget günstig wirkt. Schliesslich sind die Influencer:innen nicht nur Gesicht und Stimme, sondern auch Kreativabteilung, Produzent:innen und Mediennetzwerk in Personalunion.

Was hat Ronaldo mit Uhren zu tun?

Eigenartig ist, wie sehr viele Werbung verabscheuen und trotzdem Influencer:innen lieben. Warum mögen wir überhaupt eine Berufsgruppe, die schon mit ihrer Selbstbezeichnung klar macht, dass sie uns beeinflussen will? Weil sie keine Werbemodels, sondern echte Menschen sind? Wegen ihrer Errungenschaften in Sport, Kultur, oder sonstwo? Und was macht es für einen Unterschied, wenn ein Pop-Knirps wie Justin Bieber für Geld eine Sonnenbrille in die Kamera streckt? Ist eine Uhr deshalb besser, weil ein Fussballer sie trägt? Hat er einen besonderen Zugang zum Lauf der Zeit? Schiesst er dadurch schönere Tore? Oder gar wir? Erstaunlich, dass die Illusion der Authentizität auch anhält, wenn die Influencer-Figur mit dem Menschen dahinter offenbar nicht mehr viel zu tun hat. Ich bin sicher: Cristiano Ronaldo weiss über Uhren auch nicht mehr als ich.

Dahinter steckt knallhartes Business. Andererseits: Auch das wissen wir. Und nur, weil jemand bezahlt wird, heisst das nicht, dass das Handling oder die Funktionsweise des vorgestellten Produkts dadurch automatisch verfälscht würde. Zudem, das gebe ich zu, ist es angenehmer, wenn ein hochgradig produzierter George Clooney mir das Blaue vom Himmel lügt als irgendein Unbekannter, der seine echte Meinung in ein schlechtes Mikro nuschelt. Und auch wer nicht bezahlt wird, erzählt deshalb nicht garantierte Wahrheiten. Das Problem: Die adretten Globetrotter auf Youtube wirken auf mich inzwischen gesichtslos, es ist ein Meer von gleichen Inhalten. Denkt man an die Monsterfluencer wie Ronaldo mit 629 Millionen Follower, vergisst man schnell die tausenden an mittelkleinen Accounts, die ebenfalls um unsere Aufmerksamkeit buhlen. Der Influencer-Markt ist mit 24 Milliarden Dollar längst kein Nischen-Phänomen mehr, seit 2016 hat sich das Marktvolumen um das 14-fache gesteigert.1  

Man könnte jetzt vermuten, das alles sei eine Erscheinung des digitalen Zeitalters, nur möglich durch modernste Medien. Ohne Instagram, Tik Tok und Youtube also keine Influencer? Nicht ganz: Eine der ersten bekannten Influencer-Kollaborationen stammt aus dem Jahr 1760, als ein Hafner namens Josiah Wedgwood für die Königin von England ein Teeservice herstellte.2 Die Keramikwaren wurden in der Folge als Queen's ware bekannt und fanden reissenden Absatz. Die Königin hat nie eine Sekunde ihres Lebens mit Töpfern verbracht, allein die Strahlkraft ihrer Person reichte aus, um aus einem Keramikset einen Welthit zu machen.

Andere frühe Influencer: Nancy Green, das Gesicht der Pancake-Mischung Aunt Jemina, Babe Ruth für Wheaties, oder auch Kunstfiguren wie Tony the Tiger oder Mr. Proper. Ist Santa Claus Influencer für Coca-Cola? Sie alle haben durch ihr Gesicht einem Produkt zu Absatz verholfen. Aber ihnen ist auch gemeinsam, dass sie mit einem einzigen Brand verbunden sind. Heutige Influencer sind bei Bedarf mietbar und legen sich kaum auf einzelne Brands fest. Ausser für sehr, sehr viel Geld. What else.

The pope is dope

Kultur-Ikonen wie Coco Chanel, Michael Jordan oder Oprah Winfrey kommen dem heutigen Verständnis von Influencer:innen schon etwas näher. Marlene "I dress for the image" Dietrich hat mehr Männeranzüge verkauft als jeder männliche Anzugsverkäufer. Ihre Outfit-Eskapaden strahlen bis heute, siehe Daniel Craig im kirschblütenfarbenen Samtfummel an der Premiere für James Bond.3

Influencertum entsteht bisweilen auch wider Willen: Der Papst kann die öffentliche Meinung beeinflussen, ohne eine explizite Funktion in Politik, Medien oder Wirtschaft innezuhaben. Ob dabei Geld fliesst, ist von der gängigen Verschwörungstheorie abhängig. Jedenfalls ist er in der Influencer-Sphäre angekommen, seit Kim Kardashian tweetete: «The pope is dope.», was wiederum zur Ansicht führte, der Papst verkaufe Drogen und der Pontifex sich erklären musste.4

Es zeigt sich: Wer eine gewisse öffentliche Aufmerksamkeit geniesst, kommt kaum darum herum, auch Einfluss, also Influence, zu haben. Und gerät auch schnell in die Bredouille. Bevor wir unterscheiden können, was nun im Dschungel der gekauften Meinung für Regeln gelten, müssen wir erstmal die Berufsbezeichnungen der vielen Arten von Markenfürsprecher:innen auseinanderhalten. Oder es zumindest versuchen.

«Schliesslich sind die Influencer:innen nicht nur Gesicht und Stimme, sondern auch Kreativabteilung, Produzent:innen und Mediennetzwerk in Personalunion.»

Artenvielfalt im Dschungel der Persönlichkeiten

2019 erschien das Wort «Influencer» das erste Mal im Wörterbuch von Merriam-Webster. Während das Wort neu ist, das Konzept dahinter, dass einflussreiche Persönlichkeiten das Verbraucherverhalten durch Befürwortung von Produkten und Dienstleistungen beeinflussen, ist so alt wie die Marktwirtschaft. Winston Churchill hat die kubanische Zigarrenmarke Romeo y Julieta praktisch im Alleingang weltberühmt gemacht. Seit dem paffenden Premier entstanden im Influencer-Business dutzende Geschmacksvariationen: Es gibt Kidfluencer, Medfluencer, Fitfluencer, Finfluencer, Brandfluencer, Schminkfluencer, oder auch Petfluencer. Für jedes Hobby gibt es eine passende Mega-Personality im Feed.

Das Aufkommen der sozialen Medien ist zwar nicht der Grund, hat aber die Entwicklung erst so richtig befeuert. Schnell erzeugbare Inhalte, die sich leicht verbreiten und teilen lassen, sind die Geheimzutat. Es begann mit Empfehlungen für Produkte des täglichen Gebrauchs: Enttäuscht von fehlenden, gefälschten oder wertlosen Online-Reviews wirkten die Menschen, die das Gesuchte auf Youtube und eigenen Blogs zu Beginn der 2000er Jahre vorzustellen begannen, wie eine Erleichterung. Melinda Rogers startete TheMommyBlog im Jahr 2002, als Stay-At-Home-Mom gab sie Tipps und Produktempfehlungen, die aus ihrem Alltag als Mutter entsprangen. Dinge, die sie auch nutzte. Ähnlich verfahren die Liebhaberkanäle für Hobbyisten: Der ausgesprochen unterhaltsame Held der Steine mag Lego und hat eine Million Gleichgesinnte gefunden.

Sie gelten streng genommen aber nicht als Influencer, denn dazu muss eine Brand-Partnerschaft bestehen. Sonst ist man eine Social Personality. Auch Dietrichs radikale Selbstverwirklichung würde eher als Promi-Account gewertet denn als Influencer-Unterfangen. Der Begriff meint vor allem Kim und Co., also die Full-Time-Markenbotschafter. Die, die nichts tun, ausser sich als Werbeplattform anzubieten und dafür ihren weitreichenden Ruf zur Verfügung stellen.

Die Unterteilung bleibt aber schwierig. Man unterscheidet Influencer nach Interessengebiet (Beauty, Travel, Food, Fotografie, ...), Plattform (Youtube, Tik Tok, Instagram, ...), Format (Vlog, Interview, Diary, ...), Followeranzahl (Nano-, Micro-, Macro-, Mega-Influencer), Art der Bekanntheit (Sport, Film, Industrie, ...) und so weiter.  

Eine weitere Spielart des Berufs der medialen Botschafter:innen sind KOLs, also Key Opinion Leader, die besonders im asiatischen Raum eine wichtige Stellung einnehmen. Ähnlich wie Melinda Rogers oder meine Kamera-Typen sind sie Expert:innen auf einem Gebiet und posten auch seltener und weniger persönliche Inhalte. Die Vermarktung geschieht über multi-channel networks (MCNs), die Partnerschaften mit Plattformen und Kanälen auf Plattformen pflegen.  

Denn es ist auch durchaus möglich, von einer Kategorie in die andere zu wechseln. Einer der grössten Influencer der Gegenwart, khaby00/khaby.lame, begann mit einfachen, wortlosen Kommentaren zu den grassierenden DIY und Life-Hack-Videos, die auf TikTok zu tausenden gepostet werden. Beliebt geworden durch seine Authentizität, pflegt er inzwischen Beziehungen mit den grössten kommerziellen Brands der Welt. Aus der Social Personality wurde ein Brand Ambassador, der ohne Aufhebens die Flagge seiner Geldgeber schwingt. Geschadet hat dies seinem Ruf aber nicht, sogar seinen «signature move» mit den ausgestreckten Handflächen und hochgezogenen Schultern erfand er erst, als er bereits Millionen Follower hatte. Lele Pons begann als Komikern auf Vine, heute postet sie Produktevideos verkleidet als Day-In-The-Life-Einblicke. Mit Yachten, Lamborghinis und Coachella, das volle Programm.

Auffällig ist, dass die berufliche Kompetenz der Influencer mit dem angebotenen Produkt oft wenig Verbindung hat. Was sie als Persönlichkeit ausmacht ist auch das, was ihrer Meinung Gewicht verleiht. Und so kann eine Komikerin Rezensionen über Turnschuhe abgeben. Wenn sie nicht schlicht zu jung sind, um überhaupt in irgendwas langjährige Expertise zu haben: Like Nastya ist ein siebenjähriges Mädchen mit 115 Millionen Followern. Sie verkauft Spielzeug mit ihrem Gesicht auf Amazon.5 Für Kinder ist sie aber die Identifikationsfigur, die ihnen nähersteht als eine um Jahrzehnte ältere, professionelle Kinderspielzeugexpertin.

Und was heisst hier Persönlichkeit? hudabeauty ist einer der ersten grossen Influencer-Accounts. Huda startete 2013 und kommt heute auf über 50 Millionen Follower. Doch die echte Person, Huda Kattan, ist davon explizit getrennt, ihr persönlicher Account schafft es «nur» auf einen Zehntel der Follower wie der offensichtlich professionelle Kanal. Die Grenze zwischen Person und Marke ist also mehr als nur unscharf und lässt sich kaum allgemeingültig ziehen.

Ob es noch so etwas wie Unabhängigkeit im Influencer-Geschäft gibt, wird gelegentlich angezweifelt. Gerade im KOL-Marketing, das sich auf das Expertentum ihrer Influencer stützt, sieht die Realität gelegentlich anders aus: Ruhnn, «Chinas führende E-Commerce-Promi-Inkubations- und Marketingplattform», also ein Influencer-Brutkasten, rekrutiert ihre Expert:innen direkt aus den Social Feeds. Rund 800 meist junge Mädchen werden monatlich von der Firma systematisch nach ihrer Eignung zum KOL gescreent. Sie sind alle Amateur:innen. Gibt es also noch Influencer:innen, die nicht selbst unter Zwängen und Einflussnahme stehen? Immer weniger, sagt Lauren Hallanan, eine Spezialistin für Social Media Marketing: «It’s almost like you can’t be an independent influencer anymore [...]».

Das kann man nun gut oder schlecht finden, die Frage ist aber, was geschieht, wenn Influencer:innen gerade in diese Zweifel geraten, also nicht echt zu sein, instrumentalisiert zu werden, unehrlich zu handeln oder ihre Macht zu missbrauchen?

«Dutzende Geschmacksvariationen: Es gibt Kidfluencer, Medfluencer, Fitfluencer, Finfluencer, Brandfluencer, Schminkfluencer, oder auch Petfluencer. Für jedes Hobby gibt es eine passende Mega-Personality im Feed.»

It's tough to be a BFD

Tech-Reviewer MKBHD musste das am eigenen Leib erfahren. Er ist auf Youtube ein BFD, also ein Big Fucking Deal.6 Eines seiner neuesten Videos stellt das erste Produkt eines Startups mit dem Titel “The Worst Product I’ve Ever Reviewed… For Now.” vor. Marques Brownlee, wie er heisst, wird nicht das erste Mal zu Lasten gelegt, er könne Brands und Produkte in den Abgrund stürzen, doch das Video sorgte auf Social Media für besondere Empörung.7 Man könnte nun meinen, als Reviewer hat er auch das Recht, als Defluencer aufzutreten, der gerade mit ehrlichen Meinungen seine Legitimation schafft. Doch es blieb dabei: Der Youtube-Star würde seine Verantwortung nicht wahrnehmen und ein gut gemeintes Startup ungerechtfertigterweise zum Scheitern verurteilen. Dass auch alle anderen Reviewer des Produkts zum selben Schluss kommen, wird dabei verschwiegen. Dies zeigt: With great reach comes great confusion. Wird ein Produkt hochgelobt, ist das kein Problem, auch wenn dabei Unsummen fliessen. Wird es bemängelt, ist dies ungerecht, auch wenn kein Geld die Hosentaschen wechselt.

Wichtiger als in welche Richtung und wie umfangreich die monetären Ströme fliessen, ist deshalb die Deklaration, ob überhaupt Geld im Spiel ist oder bedingte wirtschaftliche Interessen bestehen. Für MKBHD ist der eigene Kanal die Marke, die kritische Haltung die raison d'être, weshalb er seine Glaubwürdigkeit nicht leichtfertig mit ausschliesslich positiven Reviews aufs Spiel setzen würde. Er hat gar nicht die Wahl: Es ist völlig klar, von welchem neuen Tech-Produkt die Follower:innen seine Meinung erwarten, ob die Hersteller nun dafür bezahlen oder nicht. Auch für Marken, die selbst auf Influencer-Marketing zurückgreifen wollen, sind solche Fragen wichtig. Bezahlt man die Produktvorstellung, muss das deklariert werden. Und falls kein Geld fliesst, gibt es auch keine Garantie für eine positive Rezension. Das Geschäft mit der Aufmerksamkeit ist hart, und der Verdacht, Bots oder andere unlautere Mittel für Reichweite zu nutzen, kann dem Ruf eines Influencers und einer Influencerin mehr zusetzen als alles andere.

Auch wenn man’s richtig macht, kann es falsch sein

Das wichtigste Handwerkszeug, um Influencer:in zu sein, betrifft also nicht das Produkt, sondern das Medium: Wie man einen Social-Media-Account aufbaut und pflegt, den Auftritt trimmt und die Botschaften verdichtet. Wäre das einfach, wir wären alle berühmt und würden YouTube-Shorts aus der Karibik posten. Hinter dem auf den ersten Blick oberflächlichen und durchschaubaren Geschäftsgebaren steckt ein komplexes Wechselspiel aus Social-Media-Kompetenz und Selbstvermarktung.

Die Corporate Influencerin wurde bekannt, als sie den Business-Account von Deloitte auf LinkedIn übernahm und in kürzester Zeit auf Rekordzahlen brachte. Sie war so gut in ihrem Geschäft, dass man ihr vorwarf, nein, dass man sicher war, dass sie betrogen haben muss. In der Folge veröffentlichte sie eine detaillierte Beschreibung ihrer Methode auf OMR.com und es stellte sich heraus, dass sie die Algorithmen auch ohne Bots durchschaut und knallhart ausgespielt hatte. Jeder Post war eine bis ins letzte Detail geplante Aktion mit dem Ziel, maximale Reichweite zu erzielen. Niemand vor ihr hatte das System so effizient genutzt.

Andere Influencer:innen verfahren ähnlich professionell, bis zum Testen mehrerer Thumbnails für ein Video. Mit hundertprozentigem Einsatz: «Es war auch schon echt ein bisschen skurril zwischendurch,» wie Bothur selbst zugibt. Lara Sophie Bothur wurde bekannt, als sie den Business-Account von Deloitte auf LinkedIn übernahm und in kürzester Zeit auf Rekordzahlen brachte. Sie war so gut in ihrem Geschäft, dass man ihr vorwarf, nein, dass man sicher war, dass sie betrogen haben muss. In der Folge veröffentlichte sie eine detaillierte Beschreibung ihrer Methode auf OMR.com und es stellte sich heraus, dass sie die Algorithmen auch ohne Bots durchschaut und knallhart ausgespielt hatte. Jeder Post war eine bis ins letzte Detail geplante Aktion mit dem Ziel, maximale Reichweite zu erzielen. Niemand vor ihr hatte das System so effizient genutzt.

Andere Influencer:innen verfahren ähnlich professionell, bis zum Testen mehrerer Thumbnails für ein Video. Mit hundertprozentigem Einsatz: «Es war auch schon echt ein bisschen skurril zwischendurch.» wie Bothur selbst zugibt.

Einsteigen, bitte

Die Angst ist aber nicht unberechtigt: Der Mega-Skandal um die Medizinalfirma Theranos hatte auch mit der Figur der Firmengründerin zu tun, welche als selbst eingesetzte CEO-fluencerin punktgenau die öffentliche Meinung kuratierte und manipulierte. «Theranos’ greatest invention was Elizabeth Holmes», schrieb the Verge. Ihr Geschick im Umgang mit den Medien brachte ihrer Firma erst Ruhm, dann Ruin ein, und sie wegen Betrugs ins Gefängnis.8

Auch kleinere Köch:innen kochen ähnliche Gerichte: Cedric Schild, der Schweizer Komiker und Journalist, trägt in seiner eigenen Dokumentarproduktion gerne T-Shirts und Caps einer Getränkemarke, die er nebenher selbst betreibt. Es mag naheliegen, das T-Shirt der Firma beim Bürowechsel überzustreifen, weil es halt einfach da ist. Im viralen Film ist sein Getränk aber stellenweise gleich elfmal gleichzeitig zu sehen. Zufall oder Werbung? Problematisch ist die Sache, weil ein grosser Teil seiner 700'000 Follower Kinder und Jugendliche seien, so die NZZ.9 Als Journalist und gleichzeitig Influencer ist die Frage nach seiner Unabhängigkeit durchaus berechtigt, und die Geschichte brachte Super-Cedi eine Rüge des Presserats ein.

Es gibt viele solcher Fälle, mit unterschiedlichem Ausgang: Bei der Fitfluencerin Pamela Reif wurde entschieden, dass sie sich Schleichwerbung schuldig gemacht habe. Eine vergleichbare Situation bei ihrer Konkurrentin Cathy Hummels wurde durchgewunken, da sie zwar geschäftlich, wegen fehlender Bezahlung aber nicht kommerziell gehandelt habe.

Das Extrembeispiel ist hier Ruhnn, die ihre Influencer:innen nicht zum Selbstzweck einsetzt, sondern als Teil einer Produktionskette, die auf Höchstgeschwindigkeit getrimmt ist: Die 31-jährige Chinesische Influencerin Dayi Zhang, «the queen of e-commerce», besuchte die Pariser Modewoche und schickte Bilder der neuesten Laufstegdesigns zurück zum hauseigenen Produktionsteam von Ruhnn, welches innerhalb von vier Stunden virtuelle Prototypen entwarf, die sofort an ihre Fans gesendet werden können. «Am Abend können unsere KOL das Kleidungsstück in ihrem Livestream vorführen,» so Mac Zhou, der Vizechef von Ruhnn.

Prêt à produire, wenn man so will. Von der Vorstellung, dass eine junge Mode-Enthusiastin von ihren ganz persönlichen Erlebnissen in der Fashion-Welt berichtet, ist dies meilenweit entfernt. Auch die Influencer:innen selbst sind nicht gefeit vor Täuschungsmanövern ihrer Auftraggeber: Der aufstrebende Fast-Fashion-Gigant Shein geriet in Schwierigkeiten, als eine von ihnen angeheuerte Influencerin offenbar Opfer eines als harmlosen Fabrikbesuch getarnten Medienspektakels wurde, um die fragwürdigen Zustände in ihren echten Produktionsstätten zu vertuschen.10  

Was bedeutet das für uns als Agentur und unsere Kund:innen?

Natürlich ist nicht die ganze Welt der Influencer:innen von fiesen Gestalten bevölkert, die alles tun, um uns um den Finger zu wickeln. Doch diese Geschichten zeigen auf, wie wichtig es ist, Entscheidungen beim Influencer-Marketing besonders genau zu prüfen. Es gibt einfach zu viele. Zu viele Influencer:innen, zu viele Varianten davon, zu viele Märkte und zu viele Kanäle, dass man aus der Frischetheke nach Gusto den passenden Account wählen könnte. Es kann sicher ein Vorteil sein, eine Persönlichkeit als Markenbotschafter:in zu haben, ein Gesicht, ein echter Charakter, aber man erhält notgedrungen gleichzeitig auch alles mitgeliefert, was diese Persönlichkeit im Rampenlicht getan hat. Oder tun wird. Das kann, muss aber nicht mit unseren Werten übereinstimmen. Und ist das Engagement mal vorbei, sind unsere Influencer:innen in ihren Handlungen wieder unabhängig, was, ob gut oder schlecht, auf die Auftraggeber:innen zurückfallen kann.

Als Agentur raten wir selten zu Influencer-Marketing, zumindest als Einzelmassnahme mit der Hoffnung, dass das dann »viral gehen» soll. Die gezielte Wahl einer kompetenten Fachperson wie Bothur hat weniger mit Influencer zu tun als mit konkretem Fachwissen in der Handhabe eines Mediums. Für klassische Product-Placements à la Clooney stellt sich zuerst die Frage nach dem Budget: Ist eine Marke bereits an diesem Punkt, dass eine andere Massnahme für dasselbe Geld kein Mehr an Strahlkraft erzeugt? Klar, alle wollen sympathische Videos mit Roger Federer machen, lohnen tut sich das allerdings meist erst für Brands, die bereits sehr etabliert sind. Wie etwa die Schweizer Alpen. Bei kleinem Budget soll die Wahl einer:eines Influencer:in sorgfältig erwogen und in den Marketing-Mix eingebettet werden. Dann kann sich diese Massnahme sehr wohl rechnen, wenn die richtige Person mit konkretem Social Proof und dem passenden Netzwerk die eigene Stimme verstärkt.

Virale Flutwelle versus solide Kampagnenplanung?

Influencer-Marketing will mit Bedacht gewählt sein und wenn es das ist, kann eine zielführende Symbiose entstehen. Wir besprechen gern mit Ihnen potenzielle Lösungen, damit diese Symbiose gelingt. Kontaktieren Sie uns!

Lisa Apolloni

Lisa Apolloni

Group Account Director / Team Leader

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